Offener Brief an Simone Lange

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Simone Lange,

vor über 18 Monaten ist der Flensburger Öffentlichkeit bekannt geworden, dass mit der Fusion von Diako und St. Franziskus-Hospital zum neuen Zentralklinikum das Angebot von klinischen Schwangerschaftsabbrüchen, wie es bisher bei der Diako bestand, wegfallen wird. Wir als Flensburger*innen waren und sind fassungslos und wenden uns heute als Teil einer kritischen Öffentlichkeit mit diesem offenen Brief an Sie, um unserer Frustration Raum in der Debatte zu verschaffen.

Die Reaktionen einiger Verantwortlicher in der Kommunal- und Landespolitik erweckten bei uns den Eindruck, dass eine Begrenzung der Entscheidungsfreiheit sowie der Versorgungsmöglichkeiten von ungewollt Schwangeren im Namen einer katholischen Ethik lediglich ein Kollateralschaden sei, der in Kauf genommen werden müsse für das hochmoderne Klinikum. Diese Einschränkung ist unseres Erachtens allerdings alles andere als modern und absolut inakzeptabel. 

Für Sie, Frau Lange, schien die künftige Versorgungslage in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche zunächst kein Problem darzustellen. Am 17. Oktober 2019 wurden Sie in der SHZ mit folgender Äußerung in Bezug auf die Fusion zitiert: “Als Oberbürgermeisterin erfüllt mich das mit großem Stolz.” Im selben Artikel wird auch der Wegfall des Angebots von Schwangerschaftsabbrüchen publik. 

Erst nach öffentlicher Kritik nahmen auch Sie sich des Themas an. Allerdings nicht etwa mit einer klaren Position und transparenten Abläufen, sondern mit einem Runden Tisch hinter verschlossenen Türen. Die Öffentlichkeit, die von dieser Entscheidung unmittelbar betroffen ist, wurde nicht mit einbezogen. Anfragen blieben unbeantwortet, Informationen gab es oft nur nach mühseligen Recherchen. So standen wir im November 2019 vor dem Rathaus und demonstrierten in der müden Hoffnung, dass auch diejenigen, die von dieser Entscheidung betroffen sind, Gehör finden.

Die eingeladenen Vertreter der Diako und Malteser hatten ihre Entscheidung bereits getroffen und zeigten keinerlei Bereitschaft für Zugeständnisse. Interessierte Bürger*innen und Engagierte wurden bewusst fern gehalten und viele Stimmen blieben ungehört. Sie hingegen verkauften dieses Treffen als konstruktiven Austausch. Folgen schien dieser aber lange nicht zu haben.

Der Eindruck, den Sie dabei erzeugten – neutral vermitteln zu wollen, statt selbst Stellung zu beziehen – führte genau zum Gegenteil: Mit Ihrer angeblichen Neutralität haben Sie der Position der Malteser und Diako und deren menschen- und frauenfeindlichen Einstellung zu Schwangerschaftsabbrüchen Rückenwind gegeben und die Anliegen von Betroffenen untergeordnet. Auch das ist eine Positionierung. 

Stattdessen hätten Sie den Anlass dazu nutzen können, um aufgrund derartig alarmierender Entwicklungen in Schleswig-Holstein an die Bundesebene zu appellieren und einen lange überfälligen rechtlichen Wandel der rückständigen Gesetze zu fordern. Sie hätten das Thema auf die Agenda bringen können. 

In den letzten Monaten wurden jedoch trotz offener rechtlicher Fragen weiterhin Fakten geschaffen, während Ausschüsse und andere wichtige Gremien zur Aushandlung der Thematik coronabedingt nur eingeschränkt tagen können.
Uns stellt sich beispielsweise die Frage: Verliert der 1995 zwischen Stadt und Diako abgeschlossene Vertrag über die Aufrechterhaltung des Versorgungsangebots der übernommenen Frauenklinik mit der Fusion seine Gültigkeit? Oder ist die Diako weiterhin zur Vorhaltung des Angebotes verpflichtet?

Die derzeit angestrebte “Lösung”, eine kommunale Facharztstelle des Gesundheitsdienstes zu etablieren und so das Versorgungsangebot sicherzustellen, wird in Zukunft hoffentlich die dringend notwendige Versorgung sichern. Jedoch ist sie auch ein Eingeständnis: Ungewollt Schwangere bleiben stigmatisiert und eine aus der Zeit gefallene Weltsicht der katholischen Konfession wird als Argumentationsgrundlage der Träger eines hochmodernen Klinikums akzeptiert. Und dabei gehören dieser Konfession nur etwa sechs Prozent der Bevölkerung Schleswig-Holsteins an. Das ist wahrlich empörend.

Von Ihnen als Oberbürgermeisterin erwarten wir, dass Sie die Gleichstellung der Geschlechter und das Ende der Fremdbestimmung über gebärfähige Körper in all Ihren politischen Entscheidungen mitbedenken und keine weiteren Rückschritte zulassen. Wir fordern bei künftigen Entscheidungen Transparenz, einen Dialog mit den Bürger*innen sowie die Beteiligung relevanter Expert*innen und Interessengruppen.

Im Anschluss an die globale Pro-Choice-Bewegung fordern wir die Legalisierung und Entstigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, sodass Menschen nicht länger in der Entscheidungsmacht über ihre eigenen Körper eingeschränkt werden. Selbstbestimmungsrechte und die Anerkennung ungewollt Schwangerer als mündige Personen sollten nicht verhandelbar sein.

Wenn mit den derzeitigen Mehrheiten in den Parlamenten und Ratssitzungen nicht für reproduktive Rechte, insbesondere von ungewollt Schwangeren, gearbeitet wird, muss die Zivilgesellschaft weiterhin die Rolle übernehmen, die Beteiligung an demokratischen Prozessen einzufordern. Wir werden demnach weiterhin Druck aufbauen, uns für unsere Rechte und für Gleichberechtigung einsetzen und intransparentes Handeln anprangern. 

Heute, am 15. Mai findet der bundesweite Aktionstag zum 150. Jahrestag des § 218 StGB statt. Auch in Flensburg nutzen wir diesen Anlass, um für die Legalisierung und Enttabuisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu kämpfen und die Fusion auf Kosten der körperlichen Selbstbestimmung zu problematisieren. 

Mit freundlichen Grüßen,

Feministische Aktion Flensburg                                   Flensburg, den 15.05.2021

 

Dieser Brief erhielt im Rahmen unserer Kundgebung am 15.05. auf dem Südermarkt 83 Unterschriften.