Bündnisdemo gegen rechtsoffene „Spaziergänge“

Am vergangenen Samstag waren wir Teil eines Bündnisses, das an drei verschiedenen Standorten ein Statement gegen rechtsoffene Spaziergänge gesetzt hat. Wir haben uns vom Rohrbruch in Kiel eine Schilderausstellung zu den Themen Sorgearbeit und patriarchaler Gewalt ausgeliehen und auf dem Nordermarkt aufgebaut. Außerdem haben wir einen Redebeitrag gehalten, den ihr hier nun nachlesen könnt:

Redebeitrag: Feministische Kritik an Coronapolitk

Als Feministisches Netzwerk und Aktionsgruppe sind wir heute hier, um ein deutliches Zeichen gegen rechtsoffene Spaziergänge mit Gewaltpotenzial hier in Flensburg zu setzen. Auch wir haben viel Kritik an der Corona-Politik der Bundes- und Landesregierung. Manche unserer Forderungen würden vielleicht auch einige der sogenannten Spaziergänger*innen unterschreiben.

Hier sei aber in aller Deutlichkeit gesagt: Es ist nicht hinnehmbar, wenn legitimer Protest gemeinsam mit menschenfeindlichen Akteur*innen organisiert und durchgeführt wird. Kein Zweck heiligt das Mittel, zusammen mit Nazis, Holocaust-Verharmloser*innen oder auch Nazi-Verharmloser*innen zu demonstrieren. Und dass es diese gibt, ist vielfach belegt dank antifaschistischer Recherchearbeit. Wer diese Infos kennt und immer noch fragt, „Wo sind denn hier die Nazis oder die Rechten?“, will sie einfach nicht sehen.

Wir solidarisieren uns daher ausdrücklich mit antifaschistischen Kleingruppen, die sich seit bald 2 Jahren und auch heute hier in Flensburg gegen Querdenken und Co. positionieren. Danke für die Recherche, danke für die Ausdauer und danke für das Risiko, das ihr dafür regelmäßig auf euch nehmt, denn mit Gewalt durch die sogenannten Spaziergänger*innen und durch Polizeikräfte ist dabei jederzeit zu rechnen.

Dass rechtes Gedankengut und Antisemitismus mit Frauenverachtung und Antifeminismus Hand in Hand gehen, ist keine Neuigkeit. Dies zeigt sich besonders anschaulich an Stickern, die nach den sogenannten Spaziergängen in der Innenstadt verteilt kleben und auf denen zum Beispiel die Impfempfehlung – interpretiert als ein Zwang – mit einer Vergewaltigung verglichen wird.

Ein anderes Motiv eignet sich eine feministische Kernforderung an: „My Body My Choice“ steht da, mit durchgestrichenen Spritzen in den beiden Os. „Mein Körper, meine Entscheidung“ wird aus dem Kontext von hunderte Jahre langem Kampf für das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche gerissen und für die Zwecke von Querdenker*innen missbraucht. Das ist eine Frechheit und macht mich umso wütender, wenn ich daran denke, dass in Flensburg seit über 2 Jahren für ein zuverlässiges Angebot von Schwangerschaftsabbrüchen protestiert werden muss.

Vergleiche der Impfempfehlung mit Vergewaltigungen oder Einschränkungen der Selbstbestimmung von schwangeren Personen sind völlig verfehlt und zeigen, dass den Querdenker*innen alles recht ist, um ihre kruden Mythen und Widerstandsfantasien aufrechtzuerhalten. Diese Menschen leisten keinen Widerstand gegen ein angebliches Unrechtsregime. Sie stützen diejenigen Strukturen, die Widerstand erfordern, nämlich Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit. Und Corona hat uns nicht in eine neue Krise gebracht, die Krise war schon vorher da – vor allem aufgrund von Kapitalismus, Patriarchat, Rassismus und Klimawandel.

Im Folgenden möchte ich auf einige Aspekte eingehen, die aus feministischer Perspektive besonders ins Auge fallen:

1. Care-Arbeit

Zu Beginn der Pandemie etablierte sich der Begriff der „systemrelevanten“ Arbeit und es schien möglich, dass Arbeiter*innen etwa aus den Bereichen Pflege oder Erziehung, Reinigung oder Supermarktverkauf mit ihren Kämpfen um bessere Arbeitsbedingungen und angemessene Entlohnung endlich Gehör finden könnten. Doch abgesehen von Applaus an den Fenstern für Pflegekräfte und einige Bonuszahlungen hat sich was grundlegend geändert? Richtig – nichts.

Diese Arbeiten werden überwiegend von Frauen getätigt und die Abwertung dieser Tätigkeiten dient der Erhaltung einer sexistischen Gesellschaftsstruktur.

Dies zeichnet sich erst recht in den privaten Haushalten ob, wo die unbezahlte Sorgearbeit ebenfalls überwiegend von Frauen verrichtet wird. In der Pandemie zeigt sich dabei die Tendenz eines Rückfalls in tradierte Rollenverteilungen. Alleinerziehende und Personen, die Angehörige pflegen, sind außerdem besonders starken Belastungen ausgesetzt und können kaum Unterstützung von staatlicher Seite erwarten.

Wir fordern eine materielle Aufwertung von Sorgeberufen und dass Einrichtungen der Fürsorge und Erziehung nicht nach ökonomischen, sondern nach sozialen Maßstäben ausgerichtet werden.

Außerdem: Das Private bleibt politisch – wir brauchen bedingungslose Grundsicherungen für alle Menschen und kollektive Fürsorgesysteme, die mehrfach belastete Sorgepersonen auffangen, statt diese in der Isolation im Stich zu lassen!

2. Gewalt in Partnerschaft und Familie

Ein weiteres Risiko der Vereinzelung und des Zurückgeworfenseins auf den privaten Haushalt ist der Anstieg von sogenannter häuslicher Gewalt, von der vor allem Frauen und Kinder betroffen sind. Wenn andere soziale Umfelder wie Arbeitsstelle, KiTa oder Schule wegfallen, wird Gewalt in Partnerschaft und Familie noch schwerer aufzudecken als ohnehin schon. Und genau diese Sorge hat sich in der Pandemie bestätigt.

Umso dramatischer, dass Hilfestellen schon vor der Pandemie unterfinanziert waren und immer wieder um öffentliche Gelder kämpfen müssen. So schlug der Landesverband Frauenberatung Schleswig-Holstein im März 2020 Alarm, denn die Pandemie fing gerade erst an und es gab ohnehin schon keinen einzigen freien Platz in den Frauenhäusern von Schleswig-Holstein und Hamburg.

Statt auf den Staat zu vertrauen, müssen sich Frauennothilfestellen vielerorts in Deutschland um private Spenden bemühen. Frauenhäuser sind übrigens kein selbstverständlicher Bestandteil staatlicher Fürsorge. Diese Einrichtungen wurden in den 70ern von autonomen Feministinnen aufgebaut und erst durch mühselige harte Arbeit so etabliert wie wir sie heute kennen – doch gesichert war ihre Existenz nie und das ist wirklich bitter.

Es ist daher überfällig, dass Hilfestellen für alle Geschlechter bedarfsgemäß ausfinanziert werden und so wirksame Schutzmaßnahmen sowie Prävention ermöglicht werden können.

3. Kinderschutz

Um nicht nur, aber besonders auch, Familien und Kinder in der Pandemie und danach zu unterstützen, halten wir einen grundlegenden Kurswechsel in dieser Gesellschaft und ihrer Politik für notwendig.

Einige Vorschläge:

    Es braucht viel mehr bezahlbaren und familienfreundlichen Wohnraum. Beengte Wohnverhältnisse stellen gerade in Zeiten wie diesen eine psychische Belastung dar und es darf nicht sein, dass Menschen auch deswegen schwer von gewalttätigen Beziehungspersonen – meist Männern – loskommen, weil sie keine bezahlbare Wohnung für sich und ihre Kinder bekommen.

    Außerdem: Armut ist ein nicht hinzunehmender Zustand, von dem in Deutschland jedes fünfte Kind betroffen ist. Armut war schon vor der Pandemie und ist jetzt erst recht ein Gesundheitsrisiko, das beseitigt gehört. Schluss mit erniedrigenden Systemen wie Hartz IV – Alle Menschen sollten ein Recht auf bedarfsgerechte Versorgung und gesellschaftliche Teilhabe haben.

    Und: Wir brauchen einen Ausbau in der psychiatrischen und therapeutischen Versorgung. Die psychischen Belastungen der Pandemie haben nachhaltige Folgen und müssen professionell aufgefangen werden. Es darf insbesondere nicht sein, dass Kinder und Jugendliche monatelang auf Wartelisten stehen und kaum Zugang zu psychologischer Unterstützung bekommen, wenn denn überhaupt erkannt wird, dass sie Hilfe benötigen.

Wir sagen also ganz klar: Masken und Tests gehören zu den geringsten Problem von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie. Es wird Zeit für echte Veränderungen statt unter dem Deckmantel des Kindeswohls verschrobene Coronamythen zu verbreiten.

Zum Abschluss möchte ich nochmal wiederholen: Feminismus bedeutet, eine antifaschistische Grundhaltung zu vertreten und sich gegen jede Form von Antisemitismus, Rassismus, Behindertenfeindlichkeit, Klassismus und Queerfeindlichkeit zu positionieren. Diese Kämpfe müssen gemeinsam und solidarisch geführt werden.

Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit und lade euch ein, weitere Informationen in dieser Ausstellung nachzulesen.

Habt es gut und passt auf euch auf.